17.12.2025

Atemarbeit: Stress nachhaltig reduzieren

Stress ist für viele Menschen zum dauerhaften Begleiter geworden. Termine, Leistungsdruck, ständige Erreichbarkeit und innere Ansprüche sorgen dafür, dass Körper und Geist kaum noch echte Ruhe finden. Oft wird versucht, Stress ausschließlich „im Kopf“ zu lösen – mit Ablenkung, Durchhalten oder noch mehr Disziplin. Doch genau hier liegt das Problem: Stress ist kein rein mentales Phänomen. Er entsteht im Körper, wirkt auf das Nervensystem und verändert langfristig unsere Atmung, unsere Wahrnehmung und unser Verhalten. Atemarbeit setzt genau an dieser Stelle an. Sie wirkt dort, wo Stress tatsächlich entsteht, und ermöglicht es, das innere Gleichgewicht nachhaltig wiederherzustellen. Atemarbeit ist kein kurzfristiger Entspannungstrick. Richtig angewendet wird sie zu einem Werkzeug, mit dem du dein Nervensystem regulierst, deine innere Stabilität stärkst und wieder Zugang zu Ruhe, Klarheit und Präsenz findest. In diesem Beitrag erfährst du, was Stress im Körper auslöst, wie Atemarbeit wirkt, warum der Parasympathikus dabei eine zentrale Rolle spielt und wie du Atemübungen sinnvoll in deinen Alltag integrieren kannst.
Von: Walter Berger
Eine blonde Frau mit geschlossenen Augen und der Hand auf der Brust.

Was Stress im Körper auslöst

Stress beginnt mit einer körperlichen Reaktion. Sobald dein System eine Situation als fordernd oder bedrohlich einstuft, wird automatisch das vegetative Nervensystem aktiviert. Der Sympathikus übernimmt die Kontrolle. Herzfrequenz und Blutdruck steigen, die Muskulatur spannt sich an, die Verdauung wird heruntergefahren und die Atmung wird flacher und schneller. Diese Reaktion ist evolutionär sinnvoll, denn sie bereitet den Körper auf Kampf oder Flucht vor. Problematisch wird es, wenn dieser Zustand nicht mehr endet. Viele Menschen leben heute in einer Form von Daueranspannung, ohne es bewusst wahrzunehmen. Die Atmung bleibt flach, oft hoch im Brustraum, Pausen zwischen Ein- und Ausatmung verschwinden. Dadurch erhält der Körper permanent das Signal, dass keine Sicherheit besteht. Das Nervensystem bleibt im Alarmzustand, selbst wenn objektiv keine Gefahr vorhanden ist. Langfristig kann dieser Zustand zu Erschöpfung, Schlafproblemen, innerer Unruhe, Konzentrationsschwierigkeiten oder emotionaler Reizbarkeit führen. Auch körperliche Symptome wie Verspannungen, Verdauungsprobleme oder ein geschwächtes Immunsystem stehen häufig in direktem Zusammenhang mit chronischem Stress. Atemarbeit setzt genau hier an, weil sie den direktesten Zugang zum Nervensystem bietet.

Wie Atemarbeit wirkt

Die Atmung ist eine der wenigen Körperfunktionen, die sowohl unbewusst als auch bewusst gesteuert werden kann. Genau das macht sie so wirkungsvoll. Über den Atem kannst du gezielt Einfluss auf dein vegetatives Nervensystem nehmen. Während Stress die Atmung automatisch beschleunigt und verengt, kann eine bewusste Atemführung das System wieder in Balance bringen. Durch langsame, tiefe und rhythmische Atemzüge wird der Vagusnerv stimuliert. Dieser Nerv ist ein zentraler Bestandteil des Parasympathikus und spielt eine entscheidende Rolle bei Entspannung, Regeneration und emotionaler Stabilität. Bewusst ausgeführte Atemarbeit signalisiert dem Körper Sicherheit. Herzschlag und Blutdruck regulieren sich, die Muskulatur beginnt loszulassen, Gedanken werden ruhiger. Dabei geht es nicht darum, den Atem zu „kontrollieren“ oder zu manipulieren. Vielmehr lernst du, ihn wieder frei fließen zu lassen und natürliche Atemmuster zu unterstützen. Atemarbeit wirkt deshalb nicht nur während der Übung selbst, sondern verändert mit der Zeit auch dein unbewusstes Atemverhalten im Alltag. Das führt dazu, dass Stressreaktionen schneller erkannt und sanfter abgefangen werden können. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Verbindung von Atem und Körperwahrnehmung. Durch bewusstes Atmen kommst du wieder in Kontakt mit deinem Körper. Du spürst Anspannung früher, erkennst innere Signale klarer und kannst rechtzeitig gegensteuern, bevor Stress sich festsetzt.

Parasympathikus aktivieren

Der Parasympathikus ist der Teil des Nervensystems, der für Ruhe, Regeneration und Heilung zuständig ist. Er wird oft als Gegenspieler des Sympathikus bezeichnet. Während der Sympathikus aktiviert, mobilisiert und antreibt, sorgt der Parasympathikus für Erholung, Verdauung und emotionale Ausgeglichenheit. In stressigen Lebensphasen ist dieser Bereich häufig unteraktiv. Der Körper befindet sich zwar ständig im Funktionsmodus, hat aber kaum Gelegenheit, in echte Erholung zu kommen. Atemarbeit ist eine der effektivsten Methoden, um den Parasympathikus gezielt zu aktivieren. Vor allem verlängerte Ausatmungen spielen dabei eine zentrale Rolle. Sie senden dem Nervensystem das Signal, dass keine Gefahr besteht und Entspannung möglich ist. Mit regelmäßigem Atemtraining lernt dein Körper wieder, zwischen Anspannung und Entspannung zu wechseln. Dieser Wechsel ist entscheidend für Resilienz. Es geht nicht darum, Stress vollständig zu vermeiden, sondern die Fähigkeit zu entwickeln, nach Belastung schnell wieder in einen regulierten Zustand zurückzufinden. Genau hier entfaltet Atemarbeit ihre nachhaltige Wirkung. Viele Menschen berichten, dass sie sich durch Atemarbeit nicht nur ruhiger, sondern auch klarer und präsenter fühlen. Entscheidungen fallen leichter, emotionale Reaktionen werden bewusster wahrgenommen und alte Stressmuster verlieren an Macht. Das liegt daran, dass ein reguliertes Nervensystem die Grundlage für mentale Stabilität und innere Sicherheit bildet.

Atemübungen im Alltag

Atemarbeit muss nicht kompliziert oder zeitaufwendig sein, um wirksam zu sein. Entscheidend ist die Regelmäßigkeit und die bewusste Integration in den Alltag. Schon wenige Minuten können einen spürbaren Unterschied machen, wenn sie gezielt eingesetzt werden. Eine einfache Möglichkeit ist, Atempausen bewusst in bestehende Routinen einzubauen. Zum Beispiel morgens nach dem Aufwachen, vor wichtigen Gesprächen oder abends vor dem Schlafengehen. In stressigen Momenten reicht es oft schon, den Fokus für einige Atemzüge auf eine ruhige, verlängerte Ausatmung zu legen. Dadurch wird das Nervensystem unmittelbar beruhigt. Auch während der Arbeit lassen sich kurze Atemsequenzen integrieren, ohne dass sie nach außen sichtbar sind. Bewusstes Atmen im Sitzen, mit entspannter Bauchdecke und ruhigem Rhythmus, hilft dabei, Anspannung abzubauen und den Fokus zu stabilisieren. Mit der Zeit entsteht ein neues Körpergefühl, das auch in herausfordernden Situationen trägt. Wichtig ist, Atemarbeit nicht als weiteres „To-do“ zu betrachten. Sie ist kein Leistungsinstrument, sondern eine Einladung, wieder in Verbindung mit dir selbst zu kommen. Je weniger Druck du dir dabei machst, desto nachhaltiger wirkt sie. Atemarbeit entfaltet ihre Stärke vor allem dann, wenn sie mit Achtsamkeit, Geduld und Selbstwahrnehmung verbunden wird.

Fazit

Stress nachhaltig zu reduzieren indem das autonome Nervensystem ausbalanciert wird, bedeutet, an der Ursache anzusetzen und nicht nur an den Symptomen. Atemarbeit bietet einen direkten, natürlichen und wirksamen Zugang zu deinem Nervensystem. Sie hilft dir, aus dem Dauerstress auszusteigen, innere Sicherheit aufzubauen und wieder in einen Zustand von Ruhe und Klarheit zu finden. Indem du lernst, deinen Atem bewusst wahrzunehmen und zu nutzen, veränderst du nicht nur dein Stresslevel, sondern auch deine Beziehung zu dir selbst. Du entwickelst ein feineres Gespür für deine Bedürfnisse, erkennst Belastungen früher und kannst gezielt gegensteuern. Der Parasympathikus wird aktiviert, Regeneration wird möglich und dein System findet zurück in Balance. Atemarbeit ist kein kurzfristiger Trend, sondern ein nachhaltiger Weg zu mehr Resilienz, Präsenz und Lebensqualität. Sie begleitet dich nicht nur in ruhigen Momenten, sondern vor allem dann, wenn das Leben herausfordernd wird. Genau darin liegt ihre größte Stärke.

Über den Autor:

Walter Berger
Atemcoach
Seit einigen Jahren bin ich leidenschaftlicher Eisschwimmer – für mich weit mehr als ein Hobby: Es ist eine Möglichkeit, die eigenen Grenzen zu hinterfragen und immer wieder zu verschieben. Ich bin überzeugt, dass viel mehr in uns steckt, als wir oft für realistisch halten – genau das macht das Leben für mich so lebendig.

Wissen, Praxis und Erfahrung rund um Atem, Kälte und Resilienz